Rück- und Ausblick II

1998, 2008 und die Zukunft

Heute wird die Gefahr eines übermächtigen Überwachumgsstaat breiter diskutiert als 1998. Meist ist das Jahr 2001 und die Angst vor Terrorismus ein zentrales Argument. Praktisch völlig ignoriert wird eine bedeutendere Veränderung der letzten 10 Jahre. Der Niedergang des Journalismus. Die meisten investigativen Journalisten arbeiteten bei der Presse. Die Zeitungen und Magazine wurden jedoch nicht durch den Verkaufspreis sondern üeberwiegend durch Werbeeinnahmen finanziert.

Mit dem Aufstieg des Internet verschoben sich die Werbegelder dahin. Die Folge war ein Niedergang des Journalismus und eine Gleichschaltung der Medien. Man hatte einfach nicht mehr die Mittel zu recherchieren. Die nun noch grössere Macht der Werbekunden tat ein übriges. Vom Mainstream abweichende Ansichten führten zu Entlassung und Armut. Die wenigen noch inhaltlich relevanten Journalisten führen meist ein karges Leben und bekommen eher wenig Öffentlichkeit.

Im Internet sind heute sehr viel mehr Fakten und Meinungen verfügbar als früher. Es ist aber viel aufwendiger geworden relevante Dinge abseits des Mainstreams zu finden. Das versiegen hochwertiger öffentlicher Informationskanäle hat in den letzten 10 Jahren ein Ausmass erreicht wie nie zuvor in der modernen Geschichte Europas. Die verbliebenen Massenmedien sind Abhängig von einflussreichen Finanzgruppen die mehr Gelder mobilisieren können als viele Staaten.

Da diese Massenmedien die öffentliche Meinung machen bleibt Politikern nichts anderes übrig als diese Meinungen zu vertreten wenn sie wiedergewählt werden wollen. So können letztlich finanzstarke Gruppen ganze Demokratien kontrollieren ohne selbst je in der Öffentlichkeit auftreten zu müssen. Politiker, die Verantwortung für ihr Land haben, bleibt nur übrig mit zu spielen. Um Dinge zu verlangsamen oder schlimmeres zu verhüten. Denn die Moral dieser Gruppen zeigte sich etwa 1994 in Ruanda. Es waren mehrere solche Demokratien die dafür verantwortlich waren. (1)

(1) Ruanda 1944 + 50


Medien - offen und legal zur Macht

Wer heute über den Überwachungsstaat klagt, der sollte sich bewusst sein, dass dahinter letztlich private Interessengruppen stehen. Sie pressen den Staat dazu Massnahmen und Gesetze zu realiseren um ihre eigene Macht zu steigern. Konsens dieser Gruppen ist das Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft. Jedoch so frei, dass das Handeln möglichst weder durch Moral noch durch Gesetze behindert wird. Wie zeigt sich dies heute?

Ein Nobelpreisträger schrieb 2008, dass "der freie und offene Austausch von Wissen - das Recht auf Wissen - grundsätzlich unvereinbar mit den Gesetzen der Marktwirtschaft ist." Denn im Wirtschaftsleben zählen "Glücksspiel und Täuschung, also das genaue Gegenteil von Wissenschaft. Dort geht es nicht darum, die Welt so zu verbessern, dass Aufklärung und Vernunft darin blühen, sondern darum anderen Menschen so schnell wie möglich das Geld aus der Tasche zu ziehen, ohne dafür ins Gefängnis zu wandern." (Robert B. Laughlin: Das Verbrechen der Vernunft, 2008)

Ein Experte, der gerade ein Buch dazu für Jugendliche schrieb: "Ich nenne das immer das "gut organisierte Verbrechen". Das ist so gut organisiert, dass es nicht mehr als Verbrechen verfolgbar ist." (1) Es wird heute nicht einhellig begrüsst, wenn private Firmen mit Bundes- Landes- oder Kommunalregierungen "Partnerschaften" eingehen. Besonders nicht, wenn das Vertragswerk einige 1000 Seiten umfasst und als geistiges Eigentum der Firma nicht veröffentlicht werden darf. (2)

(1) "Wie soll ein Hartz IV-Empfänger Fairtrade-Schokolade kaufen?" Reinhard Jellen, TP 07.10.2008
Interview mit Klaus Werner-Lobo, Autor von: "Uns gehört die Welt! Macht und Machenschaften der Multis" (2008)

(2) PPP-Public Private Partnership oder Privat macht Public Pleite? Thomas Barth, TP 16.06.2008
Interview mit Werner Rügemer, Autor von: "Heuschrecken im öffentlichen Raum. Public Private Partnership - Anatomie eines globalen Finanzinstruments." (2008)

Dies ist natürlich keine organisierte Kriminalität sondern alles rechtens. Wenn eine grosse Firma heute Politikberatung und "Government Services" anbietet, sich für Hartz IV, Privatisierung von Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystemen einsetzt, so hat dies eine innere Logik. Die gleiche Firma hat auch noch Musik, Filme, Online-Marketing und Klingeltöne im Angebot. (1)

(1) Arvato setzt auf Privatisierung staatlicher Dienstleistungen Thomas Barth, TP 01.09.2008

Dies mag nur den verwirren, der das Prinzip eines modernen Medienkonzerns noch nicht realisiert hat. Es geht darum das Denken der Menschen mit allen Mitteln zu verändern. Um damit Geld und Einfluss zu vermehren. Diese Firma gehört zu einem der grössten Medienkonzerne, dessen Stiftung auch noch die Aussenpolitik der EU entsprechend "berät". (1)

(1) Lobbyarbeit für die Militärmacht Europa Jörn Hagenloch, TP 26.07.2007
Die sicherheitspolitische Agenda der Bertelsmann-Stiftung


Technik der Macht

Wie seit 2007 bekannt wurde, sind in Deutschland Vertreter von Firmen und Interessengruppen direkt in Ministerien am verfassen von Gesetzestexten beteiligt. In fortgeschritteneren Ländern war das schon länger üblich. Diese politische Entwicklung ist eng mit der technischen verknüpft. Machtpolitik, verbunden mit dem schnellsten technischen Fortschritt, zeigt sich heute nicht mehr im Weltraum sondern im PC in der eigenen Wohnung.

Wenn der Staat nun per Onlinedurchsuchung auf private Computer will, weil man "auf den Rechner müsse, bevor verschlüsselt wird",(1) dann ist das nur die Spitze des Eisbergs. Letztlich will der deutsche Staat hier nur Optionen nutzen, die in fortgeschritteneren Ländern den Systemen bereits per Geheimverordung verpflichtend mitgegeben wurden.

(1) Online-Durchsuchung: Zwischen Freiheitsrechten und moderner Ermittlungstechnik Monika Ermert, Heise News, 12.07.2007 09:49

Geplant ist derzeit, immer nur einzelne Systeme zu überwachen. Technisch möglich wäre es aber bereits heute, über 90% aller Systeme nach einzelnen Merkmalen zu überwachen. Nach Stichwortketten, Surfverhalten und Downloadkonsum. Das Überwachungsprogramm auf dem eigenen PC und dessen Datenaustausch mit der Zentrale kann dann kaum noch ein User finden. Denn es ist nun wirklich kein Bug mehr sondern ein Feature wenn Teile des Systems selbst am Angriff beteiligt sind.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Content Industrie mit solchen Mitteln in der Zukunft mal Musikdownloads verfolgen wird. Sie hat bereits genug andere technische Möglichkeiten. Aber Spezialfirmen an der Nahtstelle zwischen Sicherheitsstaat und Wirtschaft können Dinge realisieren die nicht durch Gesetze sondern nur durch den Stand der Technik begrenzt sind. Dies war der Hintergrund eines 2008 bekannt gewordenen Datenskandals. Seit dem weiss man, wo bei kleinen Firmen die Handschellen klicken, da droht den grossen nur ein Gespräch beim Innenminister.

Exemplarisch an diesem Fall war auch, dass es darum ging Informanten von Journalisten zu enttarnen. Man vermutete Gewerkschafter als "Täter". Sie wollten in ihren Augen fragwürdige Machenschaften der Öffentlichkeit mitteilen, getrauten sich aber nicht dies selbst zu tun. Eine Spezialfirma verglich ab 2005, völlig illegal, hunderttausende Telefon Verbindungsdaten. Unklar blieb, wie erfolgreich man war.

Inzwischen wurde 2008 die Vorratsdatenspeicherung eingeführt. Damit ist sichere anonyme elektronische Kommunikation, per Telefon oder Internet, legal nicht mehr möglich. Die Verbindungsdaten, die obige Spezialfirma brauchte, müssen nun lange genug gespeichert werden. Selbst Anonymisierungsdienste müssen nun in der Lage sein sie staatlichen Stellen zu zeigen. Privatwirtschaft und Staat brauchen sich nun weniger Sorgen zu machen. Den einzelnen Bürger und die breite Öffentlichkeit sollte dies mehr erschrecken als jeder Terrorismus.


Privates bringt Geld

Tron schrieb 1998 in seiner Diplomarbeit unter "Motivation und Zielsetzung": "Die Privatsphäre wird zur Zeit immer mehr gestört oder eingeschränkt... Man sollte sich seine Privatsphäre sichern und sich nicht zum »gläsernen Menschen« machen lassen." Heute, 2008, ist die Onlinekriminalität (Phishing, Bot-Netze) so weit verbreitet, dass sie nicht mehr erklärt werden muss.

Warum aber der Schutz der Privatsphäre so wichtig ist, das ist den meisten Leuten nur schwer zu erklären. Sie haben doch nichts zu verbergen. Das Jahr 2008 brachte auch hier einen Meilenstein. Was sind die empfindlichsten Daten die es über einen Menschen geben kann? Es sind die Patientendaten über die vom Arzt erstellte Diagnose, Behandlung und Medikamente. Solche Daten, mit Name, Anschrift, Telefonnummer, sind inzwischen bei Call-Center Firmen zur "Gesundheitsberatung" gelandet. (1)

(1) Wie kommt der US-Konzern Healthways an deutsche Patientendaten? Report Mainz, Das Erste, 18.08.2008, 21.45 Uhr, transkript

Es waren Daten von chronisch, also unheilbar Kranken. Dieser Datentransfer wurde von Krankenkassen veranlasst. Die Frage ob es rechtens war wird noch diskutiert. Solche Daten sind eher Milliarden als Millionen Euros wert. Sollten sie in die Hände von unmoralischen Menschen fallen kann das den Tod der Kranken und den Ruin ihrer Familien bedeuten. Dann klingelt nicht mehr der Staubsaugervertreter sondern ein Experte, Prof. Dr. Dr. mit Privatklinik. Sein Forschungsinstitut hat ein neues Medikament. Man muss nur im Beisein des Firmenanwalt und Arztes einen Vertrag unterschreiben und die Reise kann beginnen. Den weniger Wohlhabenden droht dann nur Direkt-Marketing per Telefon.

Schon länger ist bekannt, dass alle Patientendaten in Zukunft auf zentralen Servern gespeichert werden sollen.(1) Wie sicher können derart begehrte Daten sein? Man schaue auf eine Organisation, die mit allen Arten von Verschlüsselung und Zugangskontrolle traditionell lange Erfahrung hat. Am 27.9.08 meldete die BBC, dass aus einem "high security area" des britischen Verteidigungsministeriums Festplatten gestohlen wurden. Sie enthielten komplette Personalakten, mit den Bewertungen durch Vorgesetzte, von tausenden Angehörigen der Royal Air Force. (2)

(1) Hilfe! Noch eine Chipkarte! Marcel Mayer, TP 21.09.2008

(2) Personnel records stolen from MoD. The Ministry of Defence (MoD) is investigating the theft of computer files holding the records of thousands of serving and former RAF staff.

Private Headhunter, Auskunfteien und fremde Geheimdienste wären sicher bereit ordentlich dafür zu zahlen. Zum Nachteil der Soldaten, der RAF und dem Wohle des Landes überhaupt. Die Sicherheit der deutschen Patientendaten bei heutigen Call-Centern oder zukünftigen Rechenzentren ist damit hinreichend klar.


Menschen ohne Recht

Die derzeit begehrtesten privaten Daten sind Listen von wohlhabenden älteren Personen. Am besten, wenn sie sich bereits bei kleinen Beträgen von Inkasso Drohungen zum Zahlen pressen liesen. Dann kann da noch mehr Beute gemacht werden. Das gleiche gilt auch bei jungen, unerfahrenen Teenagern oder Leuten die sich keinen Rechtsanwalt leisten können. Dort sind zwar höchstens ein paar hundert Euro zu holen, aber da es um 30% der Deutschen betrifft kommt doch was zusammen. Alles legal. Denn das Eintreiben von Buchungsfehlern zu Lasten von Kunden ist so lange erlaubt bis ein Gericht es feststellt und stoppt.

Auch grosse Konzerne können sich so Einnahmen verschaffen. Eine Rufschädigung ist unwahrscheinlich. Hat man doch genug Einfluss auf die Massenmedien und kann meist auch Meldungen im Internet wegklagen. Man hat fest angestellte Anwälte und Verträge mit PR Firmen die Google und die wichtigsten Foren im Internet beobachten. Manchen, vor allem älteren Unternehmern, stehen bei solchen Praktiken die Haare zu Berge. Aber dann kommt das Argument von den Gesetzen des Marktes, nur Firmen die sich dem anpassen können überleben. Noch ist dies keine übliche Praxis. Aber die grossen Konzerne mit Medienmacht werden versuchen es zur Praxis zu machen.


Privates bringt Macht

Private Daten können neben der Geldbeschaffung aber noch ganz anderen Zwecken dienen. Verbindungsdaten über angebliche oder tatsächliche Anrufe bei Sex-Hotlines haben in Deutschland schon Politiker die Karriere gekostet. In fortgeschritteneren Ländern werden vom Geheimdienst auch Privatgespräche mit ähnlichem Inhalt aufgezeichnet und in ein Textprotokoll überführt.(1) Da es sich um Staatsdiener handelt, kann dies zu genug Erpressbarkeit führen um die Kariere zu fördern. Denn wer die Medienmacht hat ist auch der einzige der so Erpressen kann.

(1)Report: U.S. spied on Americans' intimate conversations abroad By Pam Benson, CNN, 9.Okt.08
The congressional oversight committees said Thursday that the Americans targeted included military officers in Iraq who called friends and family in the United States...According to Faulk, they would often share the contents of some of the more salacious calls stored on their computers, listening to what he called "phone sex" and "pillow talk." Both Kinne and Faulk worked at the NSA listening facility at Fort Gordon, Georgia. They told ABC that when linguists complained to supervisors about eavesdropping on personal conversations, they were ordered to continue transcribing the calls. ... Bamford told CNN the accounts from the whistle-blowers demonstrate the NSA was listening to the private conversations of Americans, transcribing them and keeping them...

Den meisten ist nicht klar, dass ihre Bewertung anderer Menschen in der Regel durch unbewusst aufgenommene Infos und Gefühle geleitet wird. Da man aus Zeitgründen nur mit wenigen intensiven Kontakt haben kann, betrifft dies die grosse Mehrheit der Bewertungen die man im Kopf hat. Mit anderen Worten: Die Beurteilung der meisten Mitmenschen erfolgt unvermeidbar auf sehr dünner und oberflächlicher Info Basis.

Entsprechende Untertöne in den Massenmedien und das Ansehen einer Person, das Vertrauen in das was sie sagt und tut, ändert sich deutlich. Bisher mussten vor allem Politiker und Medienstars dies berücksichtigen. Mit dem technischen Fortschritt und der breiten Vernetzng aller Haushalte kann diese Form der Herrschaft aber bis zum kleinen Mann auf der Strasse ausgedehnt werden. Leute lächerlich oder unsympathisch darzustellen war schon immer das Recht der Medien.

Wenn man nun Satzteile verwenden kann, die jemand vor Jahrzehnten als Teenager geschrieben hat, wird das sehr viel einfacher. Private Infos, entsprechend aufbereitet, mit unwahrem vermischt oder nur in üblem Zusammenhang erwähnt, kann Menschen all ihrer sozialen Umgebung berauben.

Das Internet von heute ist eben kein Medium in dem jede Stimme gleich zählt. Es ist das Gegenteil. Es ist ein Machtinstrument in dem wenige Einflussreiche sich als Volkes Stimme darstellen können um dem Volk ihre Ansichten aufzudrücken. Unliebsame Politiker, Journalisten, Blogger oder Whistle-Blower können so vom Volk getrennt werden. Die Äusserung bestimmter Meinungen kann tabuisiert werden. Leute getrauen sich nicht mehr bestimmte Dinge auszusprechen. Weil sie Angst haben, dann mit sehr negativ besetzten Personen oder Gruppen die ähnliches gesagt haben sollen, in Verbindung gebracht zu werden.


Informations- statt Wissensgesellschaft

Wissen ist Information die dem Empfänger von Nutzen ist. Auch billigste Unterhaltung kann als nützlich betrachtet werden wenn man Entspannung braucht. Klar ist aber, dass es auch Info von so grosser Relevanz gibt, dass man es als Wissen bezeichnen kann. Die Grenze wo Wissen beginnt hängt von der Lebenssituation des Einzelnen ab und kann sich ständig je nach Thema ändern. Nobelpreisträger Laughlin meinte weiter

"Unsere Gesellschaft schottet Wissen in solchem Umfang, so schnell und so sorgfältig ab wie noch keine andere Gesellschaft in der Geschichte. Tatsächlich sollten wir das Informationszeitalter wohl besser als das Zeitalter der Amnesie bezeichnen, da in der Praxis eine deutliche Einschränkung des öffentlichen Zugangs zu wichtigen Informationen festzustellen ist.8 Das muß als Hohn erscheinen, wenn man bedenkt, daß die Entwicklungen im Internet doch angeblich den Zugang zu Informationen auf spektakuläre Weise erweitern sollten. Aber davon kann keine Rede sein.9

...Dinge, die wir nicht vollständig verstehen, lassen sich leicht als verwirrend, langweilig oder irrelevant abtun, auch wenn das keineswegs zutrifft.18 Gereinigtes Wissen wird oft ganz bewußt so dargestellt.19 Nachdenklichere Köpfe blicken dagegen voller Sorge auf diese Entwicklung und schweigen, denn sie wissen um deren wahre Bedeutung. Sie markiert die endgültige und erschreckende Kapitulation jenes Optimismus, den einst die Aufklärung verkündete. Descartes' tapfere Erklärung »Ich denke, also bin ich« ist zur Satire verkommen."

8 S. Aftergood, »The Age of Missing Information«, Slate, 17. März 2005.
9 D. Shenk, Data Smog: Surviving the Information Glut, New York 1997; dt.: Datenmüll und Infosmog: Wege aus der Informationsflut, München 1998.
18 L. A. Cole, Clouds of Secrecy, Lanham, Maryland, 1988.
19 P. Galison, »Removing Knowledge«, Critical Inquiry 31 (Herbst 2001).

Robert B. Laughlin: Das Verbrechen der Vernunft. (2008)

Wir haben heute Forscher, die in ihren Fachbereichen eindeutige Erkenntnisse haben und diese auch in Fachzeitschriften publizieren. Aus den verschiedensten Gründen, meist aber aus privater Profitsucht, werden diese Dinge vor der Öffentlichkeit verborgen. In TV, Zeitungen oder auch populären Wissenschaftsmagazinen werden diese Dinge nicht, falsch oder gezielt irreführend dargestellt. Auch wenn die Gesundheit von Millionen Menschen auf dem Spiel steht. Die meisten Forscher aktzeptieren dies, vor allem aus Angst vor Entlassung oder ausbleibenden Aufträgen.

Mutige Journalisten, die dem nach gehen, gibt es immer weniger. Inzwischen dürften die meisten Wissenschaftsjournalisten als verdeckte PR Leute für grosse Firmen arbeiten. Schliesslich sind es ja auch vor allem diese Firmen die diese Medienprodukte bezahlen - die Konsumenten zahlen nur einen kleinen Anteil. So können Produkte verkauft werden um die sonst jeder einen Bogen gemacht hätte. Oder es wird ein Angrifskrieg mit tausenden Toten als barmherzige Tat von Friedensbringern verkauft. In letzteren Fällen werden unliebsame Journalisten auch öfters ermordet und eigene Krieger als wichtige Reporter aufgebaut und prominent gemacht.


Die Zukunft der Demokratie

Bereits 1998 gab es einflussreiche Schreiber, die Datenschutz als "Idee von gestern" abtaten und den Wunsch nach Privatheit als reine "Geschmacksnote" charakterisierten.(1) Heute wird diese Sicht sogar von der progressiven, demokratischen Seite im US Wahlkampf vertreten.(2) Weniger bekannt ist, wie weit man in den USA, als fortgeschrittenstes Land der Erde, schon gekommen ist.(3)

(1) David Brin: "The transparent society - will technology force us to choose between privacy and freedom?", 1998

(2) "Daniel Weitzner, medienpolitischer Berater des US-Präsidentschaftsanwärters Barack Obama, liebäugelte mit Brins Welt. "Wir müssen den Gedanken an einen guten Schutz der Privatsphäre aufgeben", überraschte der Computerwissenschaftler die Teilnehmer. Vor allem das Schulterklopfen der Europäer beim Datenschutz zeuge mehr von Selbstbeweihräucherung als von echten Erfolgen bei der Wahrung der Privatsphäre. Versuche zur Geheimhaltung von Informationen erklärte Weitzner als zum Scheitern verurteilt. Kryptographien müssten sich künftig neue Jobs in anderen Gebieten suchen, denn Kryptosoft-ware "hat uns in die falsche Richtung geführt", provozierte er die CFP-Gemeinde, die jahrelang für Verschlüsselungsfreiheit kämpfte. Brin selbst stellte ebenfalls den Wert der "Milliarden Euros" in Frage, die auf dem alten Kontinent für Datenschutz ausgegeben würden." Aus: Stefan Krempl (jk): "Kafka trifft Orwell. Einblicke in die Überwachungsgesellschaft auf der Konferenz "Computers, Freedom, and Privacy"" c't Magazin, 14/08, Seite 52

(3) Ebenfalls aus dem vorherigen Artikel von Stefan Krempl: "Das US-Department of Homeland Security (DHS) hat 2004 im Rahmen des Kampfs gegen den Terror begonnen, Zentren für die Sammlung umfangreicher Dossiers über Bürger anzulegen. Inzwischen gibt es nach Angaben der Behörde 58 solcher Datensammelstätten. Strafverfolger und Geheimdienste trügen mit Hilfe zentraler Datenbankeinrichtungen Indizien für mögliche Vergehen in Kooperation etwa mit Banken, Vermietern, Internetprovidern, Auskunfteien, Tankstellenbetreibern, Schulen oder dem Militär zusammen, erläuterte Mike German von der American Civil Liberties Union (ACLU). Das DHS führe sämtliche 800 000 Ermittler der USA als "Augen und Ohren" des aber keineswegs auf sie beschränkten Schnüffelprogramms. Auflage bei der Polizei in Los Angeles ist es laut German etwa, jede verdächtige Aktivität "krimineller und nicht-krimineller Art" zu melden. Zu erfassen seien etwa das Malen von Bildern oder das Aufzeichnen von Kommentaren, erläuterte der frühere FBl-Agent. ...Besonders prekär: Es gebe keine Möglichkeit, Falschinformationen zu korrigieren oder sich aus dem Fahndungsnetz zu befreien. Zudem würden Ressourcen gebunden, was die viel effizientere investigative Kriminalarbeit unterlaufe."

Der Begriff Datensicherheit betrifft heute nicht nur das ausspionieren des eigenen PC. Es betrifft auch die Datenspuren die man mehr oder weniger freiwillig hinterlässt. Und letztlich betrifft es auch die freie Verfügbarkeit von Wissen und seine Weitergabe. Für letzteres befürchtet Nobelpreisträger Laughlin 2008 ein neues Mittelalter auf uns zukommen.

Für das erste sah Prof. Klaus Pommerening 1992 die Datensicherheit wie die Sicherheit im frühen Mittelalter. Es gäbe starke Festungen von mächtigen Feudalherren und da herum lebe das völlig hilflose Landvolk. Der Unterschied ist seit 1992 nicht kleiner geworden. Anders als 1992 erstreckt er sich aber inzwischen auf das ganze Land.

Um die Existenz des Rechtsstaat braucht man sich keine Sorgen zu machen. Deutschland etwa war auch Rechtsstaat im Mittelalter und der Nazizeit. Die Regeln waren nur deutlich anders deffiniert. Der Unterschied besteht meist nur aus einer schrittweisen Kette von Veränderungen in den Gesetzen und der Praxis ihrer Ausführung. Anders als in den USA stirbt die Freiheit bei uns heute mit Sicherheit scheibchenweise.

Ebensowenig muss man die Abschaffung der Demokratie befürchten. Demokratie wurde schon in der Antike als Herrschaftssystem eingeführt und passt heute perfekt zu den verfügbaren technischen Mitteln. Wer genügend Geld hat wird sich heute immer eine Demokratie zur Machtausübung wünschen. Er muss es ja nicht gleich so deutlich machen wie in Italien.

Wer genug Geld hat kann sich über einschlägige Firmen seine Reputation im Internet wieder retten oder aufpolieren. Hat man mehr Geld kann man sich bei PR Firmen jedes gewünschte Image bauen lassen, quer durch alle Medien. Wie im Mittelalter sind die meisten aber wehrlose Bauern und können von den Medien auch so behandelt werden. Wenn heute bei vermuteten Hartz-IV Sündern mit dem Kontrolleur gleich das TV Team ins Haus kommt, so ist bei einfachen Bürgern nur noch wenig Widerstand zu erwarten.

Obwohl die katholische Kirche in den letzten Jahren in den Medien kräftig aufholte wird sie ihre Macht von damals wohl nicht mehr erreichen. So tief kann das Niveau schwerlich fallen. Denn man braucht immer noch Forscher und technische Experten. Was im Mittelalter die Religion war wird in Zukunft eher die Wahrnehmung der Wirklichkeit sein. Wer zeigt, dass er die Welt so wahrnimmt wie die Massenmedien sie zeigen, der gilt als getreuer Anhänger des wahren Glaubens. Dann muss die Inquisition nicht zu ihm kommen. Allerdings gilt er dann auch bei manchen als Idiot den man nicht im Team gebrauchen kann.

Wie bisher wird auch in Zukunft der Staat eigene Leute in alle aktive Teile der Gesellschaft einschleusen und dort über die Medien zu Führungspersonen machen. Auch bei eher virtuellen Gruppen im Internet ist dies schon üblich. Einige sind überdurchschnittlich intelligent, redegewand und mitunter sogar witzig. Sie sehen die Welt ironisch oder zynisch und sich selbst als Ergebnis der natürlichen Ordnung. Motivation für manche ist die Teilnahme an der dunklen Seite der Macht, legal andere schädigen oder zerstören zu dürfen. Bei allen ist die gefühlsmässige Anteilnahme am Elend anderer, wenn überhaupt, nur gespielt vorhanden.

Das Internet bietet Gefahren und Chancen. Es nicht zu nutzen kann sich keiner mehr leisten. Anfänger sollten sich auf lesen oder höchstens fragen beschränken. Grössere eigene Texte können eher von Nachteil sein. Privates sowieso. Versuche wenn immer möglich Pseudos zu benutzen. Wer auf wichtige Sachen stösst sollte sie immer verbreiten, zumindest im Kreis von Bekannten. Bei Dingen mit exklusivem Zugang ist ein Rat schwieriger.

Um 2000 kam ein junger, sehr fähiger deutscher IT Spezialist illegalen Aktivitäten einer Firma auf die Spur. Er ahnte jedoch nicht wie gross das war von dem er nur ein Stückchen sehen konnte. Er fand es einfach ungerecht wie einige Reiche sich durch kriminelle Mittel noch reicher machen während die Umgebung in Armut versinkt. Wie er es in Schule und TV gelernt hatte, schickte er Beweismaterial erst an die Presse. Als nichts geschah ging er als Kronzeuge zur Staatsanwaltschaft. Die Ermitlungen wurden eröffnet. Bald darauf fand man ihn erhängt an einem Baum. Offiziell Selbstmord. Er hinterlies eine kleine Tochter.

Vor langer Zeit fand sich eine sehr kleine Gruppe von Leuten zusammen. Sie waren deutlich fähiger als der Durchschnitt ihrer Zeit, man könnte sie sogar Hacker nennen. Sie betrachteten ihre Fähigkeiten als Verpflichtung, ihren Mitmenschen und der ganzen Menschheit gegenüber. Sie sahen früh die Gefahr einer dunklen Zeit heraufziehen. Sie handelten im verborgenen und änderten den Lauf der Geschichte.

Ohne ihr Eingreifen würde die Welt heute noch deutlich schlimmer aussehen. Vielleicht wäre sogar die Zivilisation auf diesem Planeten ausgelöscht worden. Wie es ihrem Wunsch entsprach sind sie in keinem Geschichtsbuch erwähnt und nur sehr wenige Menschen wissen von ihnen. Es ist nicht nötig mehr zu berichten, denn wer die Fähigkeiten hat weiss auch was er tun kann. Er braucht keine Beispiele.

Ob erneut eine so dunkle Zeit heraufzieht lässt sich trotz allem noch nicht sicher sagen. Heute ist entscheident keine missverständlichen Datenspuren zu hinterlassen. Denn sollte es einmal soweit sein, dann werden alle gespeicherten Äusserungen einer Person und ihres Umfelds ausgewertet. Mit besonderem Interesse sogar die aus der Teenager Zeit. Wer glaubt er könne mehr als andere, sollte das frühzeitig bedenken.

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